von Stephan Packard
Daß ein rasanter Wandel in der Medientechnologie mit Veränderungen der Medienpraxis zugleich neue Möglichkeiten, Grenzen und Ansprüche für die Kontrolle dieser Praxis bringe, ist ein Allgemeinplatz aktueller öffentlicher Diskussionen und Entscheidungen. Ob gegenwärtige Kontrollbegehren tatsächlich auf technische Innovationen reduziert werden können, ist dabei fraglich. Jedenfalls ist deutlich, daß sich die über neuesten Medien formulierten Fragen nicht nur an diese, sondern ebensosehr an traditionelle Medien und Gebrauchskonventionen richten: So steht mit dem Konzept vom geistigen Eigentum im Internet das ganze Konzept in allen Medien, mit der Neuverhandlung von Privatheit und Öffentlichkeit online das Private und das Öffentliche in allen Lebensbereichen, mit einer neuen Debatte über Jugendmedienschutz der gesamte Jugendmedienschutz neu zur Debatte. Es findet eine Neugestaltung medialer Kommunikation statt, die zu Recht oder zu Unrecht mit neuen technischen Dispositiven verbunden wird. Die Reichweite der jetzt zu treffenden Weichenstellungen wird dabei nicht nur wegen der technischen Potentiale der verhandelten Medienumbrüche erheblich sein und die Bedingungen unserer Kommunikation maßgeblich neu gestalten.
Die Tagung Neueste Medien unter Kontrolle? im Dezember 2011 hat daher in echter Interdisziplinarität zwischen Kultur-, Sozial-, Rechtswissenschaften, Philologien und Informatik den Diskurs der Kontrolle neuester Medien in drei Perspektiven diskutiert: Die Beiträge widmeten sich wissenschaftlichen Begriffen und Beschreibungsmodellen medialer Kontrolle; Elementen der aktuellen Debatten und Aspekten neuester Medien; sowie insbesondere vergleichenden Perspektiven, die die scheinbare historische, weil technologische Einzigartigkeit jetziger Probleme mit tradierten Umbrüchen im Mediengebrauch anderer Zeiten, sowie mit den Erfahrungen anderer Kulturen zusammenbrachten sowie direkte Vergleiche zwischen verschiedenen Medien, neuesten und traditionellen, anstellten.
Die gemeinsame Diskussion hat dazu beigetragen, die zugrunde gelegten Begriffe zu problematisieren, aber auch in Teilen aufzuklären. Die folgenden Vorschläge halten keinen gemeinsamen Konsens, sondern einen neuen Diskussionsvorschlag in Reaktion auf diese Gespräche fest:
Am vielfältigsten und schwierigsten schillerte der Begriffe der Kontrolle selbst. Einerseits scheint er intuitiv hervorragend geeignet, um das Gemeinsame von Zugangserschwerungsgesetz, Jugendmedienschutzstaatsvertrag, Urheberrechtsnovellen, Leistungsschutzrechten, Datenvorratsspeicherung, Street View, digitalem Radiergummi, Wikileaks usw. so zu fassen, daß Gesprächspartner leicht anschließen können. Andererseits verführt gerade diese schnelle Zusammenfassung verschiedener Phänomene leicht zu einer Vereinfachung und Verwischung der Gegenstände. Mit Kontrolle sei wenigstens gemeint:
- die Überwachung eines Mediengebrauchs, durch die Informationen einer Kontrollinstanz zugänglich werden, weil — und aufgrund der Weise, in der — Medien gebraucht werden;
- die Steuerung eines Mediengebrauchs, durch die Akteure, Systeme oder Konventionen den eigenen Mediengebrauch determinieren, also sowohl allgemein formatieren als auch im Einzelfall seine operativen Entscheidungen fällen;
- die mögliche, angedrohte oder realisierte Intervention einer äußeren Instanz in den vorliegenden Mediengebrauch anderer.
Überwachung, Steuerung und Intervention bauen aufeinander auf – Steuerung setzt Überwachung, Intervention Steuerung voraus – und ergeben gemeinsam gestaffelte Phänomene einer Kontrolle, die damit einer ersten Differenzierung unterzogen wird.
An allen drei Teilbegriffen wird dabei schnell deutlich, daß spezifisch mediale Kontrolle eine Reduplikation impliziert: Medialität kann in einer einfachen Formulierung bedeuten, daß eines um etwas anderes willen stattfindet und mit diesem um Wahrnehmbarkeit konkurriert, so daß das Licht, das Schrift, und die Nachrichtensendung, die eine Version der Tagesereignisse präsentiert, dann erfolgreich vermitteln, wenn ihre Vermittlungsleistung zugunsten des Vermittelten übersehen werden kann (vgl. u.a. McLuhan 1994: 11ff.; Baecker 2008: 131; Krämer 2008): Gelungene Kommunikation in unproblematischer Steuerung macht ein Medium tendenziell unsichtbar, ihre Problematisierung durch Störungen, aber eben auch durch kontroverse Interventionen im Zuge einer Kontrolle dagegen tendenziell sichtbar.
Die Option der Kontroverse scheint in diesem Sinne alle expliziten Verhandlungen medialer Kontrolle zu begleiten; sie wird sichtbar, wenn divergierende Ansprüche an die Kontrolle allgemein (was soll überwacht werden, wer soll steuern dürfen, welche Interventionen sind legitim?) oder im Einzelfall gestellt werden (ist diese Information freizugeben? steuert hier der richtige Entscheidungsträger? muß sein Handeln unterbunden werden?). Wo mediale Kontrolle implizit vorliegt, ist ihre Explikation regelmäßig eine Aufdeckung, die mit revelatorischer Geste kontroverses Potential offenlegt.
Was bedeuten schließlich die neuesten Medien? Hätten ‚neue Medien‘ nicht auch gereicht? Aber die Feststellung eines Gesellschaftswandels durch neue Medien durchzieht die Moderne spätestens seit dem Buchdruck. Die so verstandenen neuen Medien machten Medialität als Vorbedingung jeder Kommunikation sichtbar, indem sie angesichts neuer Möglichkeiten Entscheidungen für, gegen und in bestimmten Medialitäten forderten. Die aktuelle Debatte dagegen spricht von einer Bedrohung, Überwindung oder Verteidigung der Konventionen der Buchdruckgesellschaft. Aber ihre topischen Medien sind heute nicht nur noch neuer als jene ‚neuen‘ Medien, sondern tendieren anders als diese wieder zur Invisibilisierung von Medialität: Sie legen zeitliche und räumliche Unmittelbarkeit durch die Irrelevanz von zeitlichen und räumlichen Hindernissen nahe, führen von einer asymmetrischen Massenmedialität auf andere, vielleicht flachere Netzwerke der Kommunikation, und erklären die technische Ausstattung bei Sendern und Empfängern für selbstverständlich statt funktionsgebunden, wodurch sie zugleich Sender und Empfänger entdifferenzieren: Statt Druckerpressen bei professionellen Druckern ist der mobile Computer für jedermann das die Konvention, wenn nicht die Realität des Mediengebrauchs definierende Paradigma. Sichtbar, so die These, wird Medialität dann nicht mehr durch die Apparatur oder ihre Störung, sondern die Kontroverse um ihre Kontrolle: Eine Kontrolle, die nicht ohnehin sichtbare Druckerpressen und auch keine Smartphones konfisziert, sondern mit Datenvorratsspeicherung und Internetsperren die produzierten Vorräte an Daten und die Funktionsweise von DNS-Servern aufzeigt.
Weil dies freilich mit dem Superlativ der neuesten Medien erst noch versuchsweise gefaßt wird, gilt es zugleich, deren behauptete Neuheit durch historische, kulturelle und mediale Vergleiche zu überprüfen und ihre Behauptung oder Widerlegung in verschiedenen Diskursen und Funktionalisierungen zu situieren.
Die Beiträge zur Frage nach den neuesten Medien unter Kontrolle eröffnen die Plattform Mediale Kontrolle unter Beobachtung, die im interdisziplinären Dialog kulturwissenschaftliche Perspektivenauf die Überwachung, Steuerung und Intervention in medialer Praxis vorstellen soll. Diese Blickpunkte sind auch, aber nicht nur als Diskussionsbeiträge für die aktuellen Entscheidungen zur Politik medialer Kontrolle gemeint.
Die ersten sechs Beiträge geben das Panorama wieder, zu dem sich die mediale Kontrolle unter dieser Beobachtung öffnen soll: Dirk Baeckers Grundsatzüberlegungen in seinen Sätzen über Media Control schließen an den Medienbegriff McLuhans, Luhmanns Systemtheorie und den Formenkalkül Spencer-Browns gleichermaßen an. Sie identifizieren Kontrolle im Kontext der Form des Mediengebrauchs schlechthin, machen die Reduplikation zwischen dem kontrollierten ‚medium‘ und den kontrollierenden ‚media‘ unter den Bedingungen einer differenten ‚society‘ in einer Formgleichung sichtbar und präparieren diese allgemeinen Überlegungen schließlich bis zu den konkreten Fragen an den Gebrauch von Twitter als einem nicht zufälligen Beispiel.
In ebenso grundlegender Weise reflektiert Michael Seemann seine Begriffe von Kontrolle und Kontrollverlust, indem er die Umstellung auf eine nachmoderne queryology an den Konzepten des Archivs bei Deleuze, Foucault und Derrida expliziert. Archive seien demnach spätestens jetzt nicht mehr Mittel, die Zukunft zu begrenzen, sondern werden unüberschaubarer und produktiver Komplexität unterworfen in der Weise, wie sie abgefragt und dabei an ihren Oberflächen immer wieder neu strukturiert werden.
François Bry fügt dem eine dritte fundamentale Perspektive hinzu, indem er Medienkontrolle aus technischer Sicht beschreibt. Aus dieser Sicht des Informatikers stellt sich die Titelfrage nach Beherrschen oder beherrscht werden? in einer Balance zwischen dem Mehrwert sozialer Medien, der durch eine Preisgabe eigener Informationen erst ermöglicht wird. An breit gefaßten Beispielen von algorithmisch festgestelltem sozialen Konsens über die Rasterfahndung für jedermann bis zum Versteckspiel im Schwarm diskutiert er Fragen des Gebrauchs wie des Designs sozialer Medien unter dem Gesichtspunkt ihrer Kontrolle.
Die Frage, wie neu die neuesten Medien seien und wie diese angenommene Innovation in anderen Diskursen funktionalisiert wird, untersucht Felix Schrape. Er gibt einen Überblick zu Erwartungen an Umwälzungen, die von technologischen Medienumbrüchen seit 1970 gestellt wurden, und vergleicht sie mit der empirischen Nutzung des frühen WWWs, des Btx und sozialer Medien. Die wiederkehrenden Erwartungen an interaktive Medien warnen nicht nur davor, diese mit den tatsächlichen Entwicklungen vorschnell zu identifizieren, sondern deuten auch auf den jeweiligen Mehrwert ihrer Funktionalisierungen hin, den es zu suchen gilt.
Kaspar Maase führt einen weiteren historischen Vergleich in die Diskussion ein: Er nimmt den Jugendmedienschutz im Spiegel des kaiserzeitlichen Schundkampfs zum Ausgangspunkt, um über die Differenzierung spezifisch jugendlichen Mediengebrauchs im Kampf um Medienkontrolle zu reflektieren. Im Anschluß an Margaret Mead aspektiert er das Motiv von den ‚fremden Kindern‘ neu, die in den Diskursen verschiedener Generationen durch ihren geübten Gebrauch neuer Medien als Bedrohte, als Bedrohung, und als Gegenstand von Kontrollbegehren gefaßt werden.
Die ästhetische Implementierung von Kontrolldiskursen schließlich nimmt sich Fernand Hörner vor: Jan Delays Song Ich möchte nicht, dass Ihr meine Lieder singt kann weder die Rezeption noch das Mitsingen effektiv verbieten, wendet das Verbot an seine Adressaten jedoch zur skizzierten Unterscheidung richtiger und falscher Fans, die sich auch in den Kommentaren und Rezensionen in Onlinemedien fortsetzt.
Soweit der Bogen dieser ersten sechs Positionierungen; weitere werden folgen. Den Beiträgern dieser ersten Ausgabe im April 2012 und allen weiteren Diskutantinnen und Diskutanten im Dezember danke ich nochmals sehr herzlich.
Die Publikation dieser Beiträge geschieht nicht nur selbstverständlich für open access, sondern nutzt auch sehr bewußt die Kommentarfunktionen dieser einfachen WordPress-Installation. Die Diskussion zwischen den Beiträgerinnen und Beiträgern hat im Dezember begonnen, sie ist aber nicht vorbei, sondern soll unter anderem hier intensiv fortgesetzt werden. Widerspruch, Ergänzungen, Nachfragen und neue Beispiele von allen Leserinnen und Lesern sind dringend erwünscht – und sehr willkommen.